Zeit – von einem Gut, mit dem jeder und jede gleich ausgestattet ist

Ich hatte eine wirklich gute Zeit. Zeit für mich, Zeit zum Beten, Zeit zum Gehen, Zeit zum Zuhören, Zeit zum Hören. Einfach Zeit. Interessant ist, dass es hier im Stabur viele schöne Dinge gibt, aber keine Uhr.

Mein Sohn Sebastian hat dazu folgenden Text gefunden:

Welcher Tag ist heute?“ fragt Pu der Bär.
„Es ist heute.“ antwortet sein bester Freund Ferkel.
„Oh, das freut mich aber.“ sagt Pu der Bär. „Heute ist mein Lieblingstag.“

Ein Held unserer Kindertage. Oder sogar ein Held der Zeit?
Unbeschwert und frei, wie die Zeichentrick,- und Kultfigur Winnie Puh, ließen wir uns als Kinder durch die Zeit treiben.
Wir naschten unbedacht aus Muttis Honigtöpfchen, stahlen die Süßigkeiten aus ihren geheimen Verstecken, dachten nicht nach, hüpften unbeschwert durch die Natur. Unsere Gedanken waren frei so wie wir.
Wir kannten kein Morgen.
Wir vergaßen das Gestern.
Wir waren nur im Jetzt und im Hier. Und jeder Tag war unser Lieblingstag.
Die Welt mit den Augen eines Kindes sehen. Die Flügel haben, mit denen Kinder durch ihre eigene kleine Welt fliegen, sich mit dem Strom der Zeit und des allgegenwärtigen Momentes treiben lassen.
Leicht wie eine Feder.
Frei wie der Wind.
Je älter wir werden, desto kleiner werden unsere Flügel, desto schwerer unsere Federn und umso öfter verschließen wir die Augen vor den schönen Dingen, die wir als Kinder für ganz besonders hielten.
Wir lernen im Laufe der Zeit und der Jahre unsere Sicht zu erweitern. Unseren Horizont zu überschauen.
Wir sehen immer weiter nach vorne. Wollen immer mehr und immer schneller sein.
Sehen in die Zukunft, hängen fest an der Vergangenheit, und vergessen die Gegenwart.
Unsere Augen versuchen etwas zu finden, fernab von dem, das eigentlich direkt vor uns liegt.
Und dann passiert es, dass wir unseren Blick auf etwas zu lenken versuchen, das unsere Sicht überschreitet, und übersehen somit das Schönste und Allgegenwärtige, das direkt in unsere Augen blickt.
Der einfache kostbare Moment.

Ja, wir leben sogar in einer Welt, in der „Zeit Geld ist.“ Wer hat sich nur diesen Vergleich ausgedacht? Was haben wir davon, wenn wir Unmengen an Geld besitzen, aber nicht einen Moment der Zeit? Was machen wir mit all unserem Geld, wenn wir es nicht in unsere Zeit investieren können?
Und hat sich jemals schon mal ein Mensch Zeit erkaufen können?
Glauben wir ernsthaft, dass Geld im Wert der Zeit gerechnet werden kann?
Zeit ist nicht Geld. Zeit ist kein Geschäft, Zeit ist ein Geschenk. Zeit macht uns weder reich noch arm. Nur schenkt sie demjenigen Reichtum, der sie für sich nutzt. Reich an Zeit zu sein, der schönste Reichtum.
Zeit ist kein Besitz, wir können sie bloß auskosten, ihr folgen, sie genießen. Die Zeit hat keine Erwartungen an uns. Sie wartet aber auch nicht. Wir sind es, die Erwartungen an die Zeit stellen.
Und wir sind es auch, die oftmals keine Zeit haben, die immer mehr Zeit brauchen. Wir, denen uns die Zeit davonläuft.
Zeit ist kein Geld.
Zeit ist Zeit.

Wir sind bloß zu Gast auf dieser einen Welt. Die Zeit, die wir hier geschenkt bekommen, sollten wir als das wertvollste Geschenk ansehen, das uns gegeben wurde.
Fragen wir einen Menschen, der im Sterben liegt, was würde er sich wohl wünschen?

Mehr Zeit.

Es ist der Kreislauf der Zeit.
Der Kreislauf des Lebens.
Und irgendwann werden wir alle unsere Uhren ablegen, unsere Zeiger werden stehen bleiben, das Zifferblatt verstauben und das Ticken verstummen.

Unsere Zeit rennt. Denken wir. Unsere Zeit fliegt. Sagen wir uns. Unsere Zeit rast. Glauben wir zu wissen.
Sie hastet, sie sprintet, sie ist schnell. Wie ein Marathonläufer, der ans Ziel gelangen möchte.
Aber ist es tatsächlich die Zeit, die uns davonläuft? Oder laufen wir viel mehr vor uns selbst davon?
Denn ist Zeit wohl die eine wahre Konstante in unserem Leben.
Niemals schneller. Niemals langsamer.
Immer gleich. Tick. Tack. Tick. Tack.
Tick. Tack.
Ein Ticken, das uns im Innern so oft vorkommt, als wäre es ein Wettkampf. Ein Wettlauf gegen die Zeit.
Eine innere Zeitbombe, die ständig bereit scheint zu explodieren, wenn wir nicht schneller sind. Weiter. Höher.
Wenn wir nicht genau jetzt erreichen, was wir uns vorstellen. Wenn nicht sofort alles so funktioniert, wie wir es möchten. Und wenn wir nicht jetzt die Kontrolle haben über das, was uns in zehn Jahren begegnen könnte.
Es ist genau das, was wir leider viel zu oft für uns wahrnehmen und interpretieren.
Wenn wir aus unserem Leben einen Wettlauf kreieren. Gegen die Zeit. Gegen uns selbst.

Halten wir an! Machen wir Pause!
Denn ist es nicht nur der Verstand und unsere Gedanken, welche unsere einst kindlichen Federn mit Ballast beschweren?
Nichts weiter als das, was wir denken hindert uns doch oft daran im Hier zu bleiben und dankbar zu sein für den Moment und die Zeit, die wir jetzt gerade genießen können.
Wir selbst sind der Zeiger der Uhr, der jeden Tag jede Sekunde und jede Minute den Takt angibt.
Nichts und niemand anderer als wir selbst.
Wir können die Zeit anhalten für uns. In den Momenten, in denen wir gerne länger verweilen würden.
Die Momente, die wir wie fotografisch in unseren Erinnerungen abspeichern und jeder Zeit vor unserem inneren Auge abrufen können.
Wenn wir Zeitreisende sind. Abenteurer. Liebende und Träumer.
Wenn wir auf die Pausetaste unseres Alltages klicken und für den Moment der Zeitlosigkeit entgegenfliegen.
Einen Löffel aus dem Honigtöpfchen naschen und die Süße auf unserer Seele spüren.
Die Süße des Lebens.

Die Momente, in denen das Heute zu unserem Lieblingstag wird. Jeden Tag.

„Es gibt eine Art von Glück, die entsteht wenn man zur rechten Zeit am rechten Ort ist, und eine Art von Eingebung, die man erlebt, wenn man auf die richtige Weise das Richtige tut.
Und beides wird einem nur zuteil, wenn man das Herz von jeglichem Ehrgeiz, Ziel und Plan befreit:
Wenn man sich dem goldenen schicksalserfüllten Augenblick hingibt, vollkommen und mit Leib und Seele.“
Gregory David Roberts

Quelle: Debbi Röltgen / http://doodad-magazine.com/heute-ist-mein-lieblingstag/

5 Kommentare zu „Zeit – von einem Gut, mit dem jeder und jede gleich ausgestattet ist

  1. Dazu fällt mir folgendes Gedicht ein:
    Ich wünsche dir nicht alle möglichen Gaben.
    Ich wünsche dir nur, was die meisten nicht haben:
    Ich wünsche dir Zeit, dich zu freun und zu lachen,
    und wenn du sie nützt, kannst du etwas draus machen.

    Ich wünsche dir Zeit für dein Tun und dein Denken,
    nicht nur für dich selbst, sondern auch zum Verschenken.
    Ich wünsche dir Zeit – nicht zum Hasten und Rennen,
    sondern die Zeit zum Zufriedenseinkönnen.

    Ich wünsche dir Zeit – nicht nur so zum Vertreiben.
    Ich wünsche, sie möge dir übrig bleiben
    als Zeit für das Staunen und Zeit für Vertraun,
    anstatt nach der Zeit auf der Uhr nur zu schaun.

    Ich wünsche dir Zeit, nach den Sternen zu greifen,
    und Zeit, um zu wachsen, das heißt, um zu reifen.
    Ich wünsche dir Zeit, neu zu hoffen, zu lieben.
    Es hat keinen Sinn, diese Zeit zu verschieben.

    Ich wünsche dir Zeit, zu dir selber zu finden,
    jeden Tag, jede Stunde als Glück zu empfinden.
    Ich wünsche dir Zeit, auch um Schuld zu vergeben.
    Ich wünsche dir: Zeit zu haben zum Leben! (Elli Michler)

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  2. Ich wünsche dir, dass du dir dieses Gefühl bewahrst, das Gefühl vom Ankommen in der Zeit.
    Kennst du dieses Rätsel?

    Drei Brüder wohnen in einem Haus, die sehen wahrhaftig verschieden aus, doch willst du sie unterscheiden, gleicht jeder den anderen beiden.
    Der erste ist NICHT da, er kommt erst nach Haus. Der zweite ist NICHT da, er ging schon hinaus. Nur der dritte ist da, der kleinste der drei, denn ohne ihn gäb’s nicht die anderen zwei.
    Und doch gibt’s den dritten, um den es sich handelt, nur weil sich der erst‘ in den zweiten verwandelt.
    Denn willst du ihn anschaun, so siehst du nur wieder immer einen der anderen Brüder! Nun sage mir: Sind die drei vielleicht einer? Oder sind es nur zwei? Oder gar – keiner?
    Und kannst du, mein Kind, ihre Namen mir nennen, so wirst du drei mächtige Herrscher erkennen.
    Sie regieren gemeinsam ein großes Reich – und sind es auch selbst! Darin sind sie alle gleich.
    Michael Ende

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